Im Gemeinderat gelernt (2) 4. August 2020 Nach dem Motto „Nur Meckern hilft keinem etwas!“ war für mich einer der Gründe 2020 für den Gemeinderat zu kandidieren, dass ich herausfinden wollte, wie es in Karlsfeld immer wieder zu diesen „Bausünden“ kommen kann. Das Erlbau-Gelände westlich der Bahn, die „Karlsfelder Meile“, die „Neue Mitte“ – stets denke ich: „Von der Idee her gut, Ausführung fürchterlich!“ Nun bin ich seit 3 Monaten Gemeinderatsmitglied, habe ein paar Sitzungen und sehr gute Fortbildungen hinter mir und bin diesbezüglich schon etwas schlauer. 1. Die „hoheitliche Bauplanung“ Heißt tatsächlich so! Die Gemeinde erstellt „hoheitlich“ den Flächennutzungsplan (Wohnen, Gewerbe usw.) und bei größeren Projekten später einen Bebauungsplan. In Letzterem wird festgelegt, wo genau welche Gebäude stehen, Größen, Formen, Grünanlagen und auch wofür diese Gebäude vorgesehen sind. Theoretisch hat sich der Investor, der das Grundstück bebauen möchte und natürlich den größtmöglichen Gewinn aus Verkauf und Verpachtung der Immobilien erzielen möchte, an diesen Bebauungsplan zu halten. In der Praxis sieht es aber so aus, dass er – wie es bei Erlbau/Streicher westlich der Bahn der Fall ist – gravierende Änderungen des Bebauungsplans fordern kann, um ihn „an die aktuellen Verhältnisse anzupassen“ oder schon beim Erstellen des Bebauungsplanes seine Wünsche als Verhandlungsmasse einbringen kann. So hatte eine Medizintechnikfirma maßgeblichen Einfluss auf den Bebauungsplan des Ludl-Geländes, zum Nachteil des Sozialen Wohnungsbaus. Blöd nur, dass diese Firma nun doch nach Unterschleißheim geht und ein ähnlicher gewerblicher Käufer oder Pächter für das große zentrale Gebäude im Ludl-Gelände gesucht werden muss. So viel zur „hoheitlichen Bauplanung“ in Karlsfeld… 2. Der Städtbauliche Vertrag Sinnvollerweise zeitgleich mit der Erstellung des Bebauungsplanes können die Gemeinde und der Investor einen Städtebaulichen Vertrag schließen. Dies ist ein privatrechtlicher Vertrag und hat mit hoheitlicher Bauplanung nichts mehr zu tun. Weil beide Parteien gleichberechtigt verhandeln, ist hier Verhandlungsgeschick gefragt. Aus Sicht der Gemeinde sollte eigentlich alles, was uns für die Entwicklung des Baugeländes besonders wichtig ist, aufgenommen werden. Man könnte dort beispielsweise den zeitlichen Ablauf der Bauvorhaben fixieren, z.B. zuerst Einzelhandel und Kinderbetreuung, dann Wohnungen. Oder ein Hotel mit Rooftop Bar könnte vertraglich festgelegt werden. „Könnte“ hieß zuletzt meist „wurde leider nicht“. Beim Erlbau-Gelände wurde ein Städtebaulicher Vertrag zum Leidwesen der Einwohner*innen in Karlsfeld West ganz versäumt. 3. Sozialgerechte Bodennutzung Aber die Gemeindeverwaltung hat gelernt. So wurde nach Münchner Vorbild z.B. die „SoBoN“ (Sozialgerechte Bodennutzung) eingeführt, ein Instrument zur Mitfinanzierung städtebaulicher Planungen. Baut der Investor Wohnungen, muss er beispielsweise einen gewissen Betrag an die Gemeinde für später anfallende Kinderbetreuungskosten zahlen. Über die sinnvolle Höhe der Beträge kann man streiten. Ebenso über die Höhe der Vertragsstrafen bei Nichteinhaltung des Vertrags. Wenn der Investor sich vertraglich zu 30 % sozialem Wohnungsbau verpflichtet, er dann aber bei Verkauf auf dem allgemeinen Immobilienmarkt so hohe Gewinne erzielen würde, dass er die Vertragsstrafe locker davon abziehen kann, ist diese mit Sicherheit falsch kalkuliert.Wieder denke ich: „Gute Idee, mangelhafte Ausführung!“ Und wieso nimmt man nicht die anderen wichtigen Vorhaben mit in den Städtebaulichen Vertrag auf? 3. Die Baugenehmigungen Ist der qualifizierte Bebauungsplan aufgestellt und genehmigt, planen die Architekten des Investors die konkrete Umsetzung. Dafür müssen für die einzelnen Bauvorhaben sogenannte Baugenehmigungen eingeholt werden. Eigentlich ist alles im BauGB und im qualifizierten Bebauungsplan geregelt und die Erteilung einer Baugenehmigung reine Formsache, aber der Investor hält sich bei der Planung manchmal nicht an die Vorgaben des Bebauungsplans (Aussetzung der Dachbegrünung, Unterschreitung der Abstandsregelungen, Anbringen von Lichtwerbung, Technik auf dem Dach statt einer heißersehnten Rooftop Bar usw.). Dann müssen „Ausnahmen und Befreiungen vom qualifizierten Bebauungsplan“ extra im Gemeinderat bzw. im Bauausschuss, einem kleineren Gremium, beschlossen werden. Warum lehnt der Gemeinderat diese Befreiungen nicht einfach ab? Eine knappe Woche vor der Sitzung bekommen die ehrenamtlichen Rät*innen die Sitzungsunterlagen. Das sind von der Gemeindeverwaltung ausgearbeitete Beschlussvorlagen, in denen der Sachverhalt erklärt und ein Beschlussvorschlag formuliert wurde. Ausgearbeitet wird diese von dem zuständigen Sachbearbeiter der Gemeindeverwaltung. Also jemandem, der sich fachlich auskennt, der in seinem Bereich aus- und regelmäßig fortgebildet wird. Über 100 Seiten pdf-Dokument mit viel Text, Plänen und Fachtermini. Es erfordert viele Stunden Zeit und viel Knowhow, diese durchzuarbeiten. Dann müssen die verantwortungsvollen Rät*innen selbst dazu recherchieren, sich in der Fraktion besprechen und meistens nochmal recherchieren, um in der Sitzung fachlich fundiert gegen einen Beschlussvorschlag der Gemeindeverwaltung zu argumentieren. Erkenntnis: Die Zeit reicht nicht! Manche Sachverhalte klären sich erst in der Sitzung, wie es bei der Absage der Rooftop Bar der Fall war, dann werden die Gemeinderät*innen überrumpelt. Eigentlich sollte man auf die fachliche Einschätzung der Sachbearbeiter*innen und des Bürgermeisters ja auch vertrauen können, die ja sicher nur das Beste für ihre Gemeinde wollen.Und was wäre die Alternative? Wurde im Bebauungsplan oder Städtebaulichen Vertrag kein zeitlicher Ablauf festgelegt, baut die Firma einfach nicht weiter und die Fläche liegt brach (Erlbau)… keine Geschäfte für die Anwohner*innen, keine Gewerbesteuereinnahmen für die Gemeinde. 4. Transparenz im Bau Besonders ärgerlich für interessierte Bürger*innen: Von diesen Änderungen erfahren sie höchsten im Nachhinein aus den Medien, oft aber auch gar nicht. Die GRÜNEN hatten die Veröffentlichung der Beschlussvorlagen vor den Sitzungen beantragt, damit interessierte Bürger*innen gezielt Sitzungen besuchen können, die sie etwas angehen und dort auch Fragen stellen dürfen. Die CSU und Freien Wähler – und damit die Mehrheit – hat diesen Antrag für mehr Transparenz abgelehnt. So bleibt den Karlsfelder*innen nur noch, sich zu wundern, wo die extensive Dachbegrünung und die netten Cafés und kleinen Läden geblieben sind, die bei der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplanes oder im Karlsfeld Journal so hübsch ausgesehen hatten… Heike Miebach, Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Gemeinderat Karlsfeld